ʿAbdullāh ibn ʿAbd al-Muṭṭalib war der Vater des Heiligen Propheten
1 und sein Vater, ʿAbd al-Muṭṭalib ibn Hāšim 2, war der Anführer der Banū Hāšim, einem Zweig der Qurayš. Die Mutter von ʿAbdullāh
war Fāṭimah bint ʿAmr ibn ʿĀʾiḏ ibn ʿImrān ibn Maḫzūm ibn Yaqaẓah, die ursprünglich dem Zweig der Banū Maḫzūm der Qurayš angehörte 3. ʿAbdullāh
wurde 546 n. Chr. geboren und verstarb 570 n. Chr., wenige Monate vor der Geburt seines Sohnes, des Propheten Muḥammad
4. Man geht allgemein davon aus, dass er der Jüngste von seinen Geschwistern gewesen sei 5. Jedoch waren Ḥamza, al-ʿAbbās und Ṣafiyya
, die von Hāla geboren wurden, jünger als ʿAbdullāh
6. Beschränkt man sich allerdings auf die Kinder von Fāṭima bint ʿAmr, so war ʿAbdullāh
der Jüngste 7
Der Name ʿAbdullāh gehört zu den gottgefälligsten Namen 8 und bedeutet wörtlich „Diener Allahs “ 9. ʿAbdullāh
hatte fünf leibliche Geschwister: az-Zubayr, ʿAbd Manāf (allgemein bekannt als Abū Ṭālib), ʿĀtika, Barra und Umayma 10. Unter den Söhnen von ʿAbd al-Muṭṭalib jedoch war er der ansehnlichste, keuscheste 11 und von seinem Vater der am meisten geliebte 12.
Ibn Saʿd zufolge hatte ʿAbd al-Muṭṭalib während der Ausgrabung des Zamzam-Brunnens nur einen Sohn (al-Ḥāriṯ), der ihm bei der Arbeit half 13. Deshalb betete er zu Allah, Er möge ihn mit weiteren Söhnen segnen und gelobte, dass er, falls er zehn Söhne haben sollte, einen von ihnen um Allahs Willen bei der Kaʿba opfern werde 14. Sein Gebet wurde erhört und er bekam zehn Söhne, die ihn beschützen und unterstützen konnten. Eines Tages versammelte er sie, sprach mit ihnen über sein Gelübde und forderte sie auf, Vertrauen zu Gott zu haben. Alle willigten ein, sich dem Gelübde zu fügen und fragten, was sie zu tun hätten. Daraufhin nahm ʿAbd al-Muṭṭalib sie mit in die Kaʿba, ließ jeden von ihnen ein Lospfeil ziehen, ihren Namen darauf schreiben und es zu ihm bringen, damit er ein Orakel befragen könne, um herauszufinden, wer geopfert werden sollte 15.
Damals war es unter den Arabern üblich, sich in unlösbaren Angelegenheiten der Wahrsagerei oder Orakelbefragung zu widmen. Man entschied über ungelöste Fragen, indem man Lospfeile am Fuße der größten Statue im Heiligtum zog 16. Wollten sie einen Knaben beschneiden, eine Frau heiraten, einen Toten bestatten oder zweifelten sie an der Abstammung einer Person, so brachten sie die Betroffenen zu Hubal 17 und gingen zum Hüter der Lose. Für eine solche „Befragung Gottes“ zahlte man eine Gebühr von hundert Dirham 18. Nach der Ankunft des Islams erklärte zwar der Heilige Koran diese Praxis zu einem Werk Satans und verbot sie 19, doch vor dieser Zeit war sie gesellschaftlich durchaus anerkannt.
ʿAbd al-Muṭṭalib teilte dem Hüter sein Gelübde mit und bat ihn, die Lospfeile seiner Söhne zu werfen und ihr Schicksal zu bestimmen. Jeder Sohn übergab sein Lospfeil mit dem darauf vermerkten Namen. Während der Hüter seiner Aufgabe nachging, stand ʿAbd al-Muṭṭalib neben ihm in der Kaʿba und betete zu Allah. Als das Los auf den Namen von ʿAbdullāh fiel 20, nahm ʿAbd al-Muṭṭalib augenblicklich ein großes Messer, fasste ʿAbdullāh
bei der Hand und brachte ihn zu dem Ort, an dem er geopfert werden sollte 21 . Obwohl ʿAbdullāh
wusste, dass er geopfert werden würde, zeigte er keinerlei Widerstand. Dies zeugt sowohl von seinem Gehorsam gegenüber seinem Vater als auch von seiner Bereitschaft, sein Leben auf dem Weg Allahs hinzugeben.
Als die Qurayš sahen, dass ʿAbd al-Muṭṭalib im Begriff war, ʿAbdullāh zu opfern, eilten sie zu ihm und baten ihn inständig, seinen Sohn nicht zu opfern und stattdessen nach einem anderen Ausweg zu suchen. Al-Muġīra ibn ʿAbdullāh
al-Maḫzūmī, ein mütterlicher Verwandter von ʿAbdullāh
, bestand darauf, dass er freigelassen und irgendeine Form von Nachsicht gesucht werden sollte. Auch andere Angehörige des Stammes der Qurayš sowie Mitglieder des Hauses von ʿAbd al-Muṭṭalib stimmten dem zu und drängten so lange, bis ʿAbd al-Muṭṭalib sie fragte, was er denn tun solle, um Gott zu gefallen, ohne seinen Sohn zu opfern. Al-Muġīra ibn ʿAbdullāh
al-Maḫzūmī schlug vor, seinen Sohn mit Vermögen loszukaufen, und bot an, das größte Sühneopfer für ʿAbdullāh
zu entrichten. Er erklärte zudem, dass im Falle eines Lösegeldes er selbst zusammen mit dem gesamten Stamm bereit sei, alles erforderliche Vermögen aufzubringen, um ʿAbdullāh
zu retten 22.
Die Leute aus dem Stamm der Qurayš schlugen ʿAbd al-Muṭṭalib vor, ʿAbdullāh zu einer weisen Zauberin in Yaṯrib zu bringen, die mit einem Geist in Verbindung stand und ihm daher besseren Rat geben könne. Sie einigten sich auch darauf, dass sie ʿAbd al-Muṭṭalib nicht daran hindern würden, ʿAbdullāh
zu opfern, falls jene Frau dies anordnen sollte. Falls sie jedoch etwas anderes vorschriebe, würde dies für alle eine Erleichterung bedeuten. ʿAbd al-Muṭṭalib akzeptierte den Vorschlag, und sie machten sich auf den Weg nach Yaṯrib. Als sie dort ankamen, erfuhren sie, dass die Frau nach Ḫaybar gegangen war 23, einer wohlhabenden jüdischen Stadt in einem fruchtbaren Tal, etwa hundert Meilen nördlich von Yaṯrib 24. Sie setzten ihre Reise fort und erreichten Ḫaybar, wo ʿAbd al-Muṭṭalib die Frau traf und ihr den Sachverhalt schilderte. Sie forderte sie zunächst auf, fortzugehen und zu warten, bis der vertraute Geist zu ihr kam, damit sie sich mit ihm beraten und eine praktikable Lösung vorschlagen konnte. ʿAbd al-Muṭṭalib verbrachte den größten Teil jener Nacht im Gebet zu Allah, dem Erhabenen. Am nächsten Tag suchten sie die Frau erneut auf und sie fragte, wie hoch sie das Blutgeld anzusetzen gedachten. Sie antworteten, es seien zehn Kamele. Daraufhin riet sie ihnen, nach Mekka zurückzukehren und ein Los (Kleromantie) 25 zwischen zehn Kamelen und ʿAbdullāh
zu ziehen. Falls das Los gegen ʿAbdullāh
fiel, müssten weitere Kamele hinzugefügt werden, bis das Los zu seinen Gunsten ausfiele. Sobald das Los schließlich gegen die Kamele falle, müssten sie die gesamte angesammelte Zahl an Kamelen an seiner Stelle opfern. Sie betonte, dass dies der einzige Weg sei, um den Herrn zufriedenzustellen und das Leben ʿAbdullāh
s zu retten 26.
ʿAbd al-Muṭṭalib kehrte nach Mekka zurück und beschloss, diese Anweisungen auszuführen. Seine Söhne begannen mit dem Ziehen der Lose, während ʿAbd al-Muṭṭalib zu Allah betete. Sie brachten zehn Kamele neben ʿAbdullāh herbei, um das Los zu ziehen, doch das Los fiel gegen ihn. Daher fügten sie zehn weitere Kamele hinzu, doch wiederum fiel das Los gegen ʿAbdullāh
. So fuhren sie fort, jeweils zehn Kamele hinzuzufügen, bis es hundert Kamele waren und das Los schließlich gegen die Kamele fiel 27. Die Qurayš und andere Anwesende sagten zu ʿAbd al-Muṭṭalib, Gott sei nun mit ihm zufrieden. Doch er entgegnete: „Nicht eher, bis ich das Los dreimal gezogen habe.“ Sie taten es dreimal, und jedes Mal fiel das Los gegen die Kamele 28. Daraufhin schlachtete ʿAbd al-Muṭṭalib die Kamele zwischen aṣ-Ṣafā und al-Marwa und bereitete für die Menschen ein Festmahl, doch weder er noch seine Söhne aßen etwas davon. Bis zu jener Zeit betrug das Blutgeld (al-diya, diyat) zehn Kamele. ʿAbd al-Muṭṭalib erhöhte es auf hundert Kamele für ein Menschenleben. Die Qurayš sowie die übrigen Araber übernahmen diese Praxis und auch der Heilige Prophet
bestätigte es nach dem Islam 29.
Der Prophet Muḥammad wird als Ibn al-Ḏabīḥayn („Sohn der beiden Geopferten“) bezeichnet. Der Grund für diesen Titel ist, dass sowohl sein Vater ʿAbdullāh
als auch sein Vorfahr, der Prophet Ismāʿīl, zur Opferung vorgesehen waren, Allah aber beide verschonte 30.
ʿAbdullāh war ein attraktiver junger Mann, geliebt und respektiert von den Menschen in Mekka. Besonders aufgrund seiner Persönlichkeit und Schönheit bewunderten ihn viele mekkanischen Frauen und nach dem Vorfall, bei dem hundert Kamele im Austausch für sein Leben geopfert wurden, wollten ihn viele heiraten 31. Es wird berichtet, dass ʿAbdullāhs
Stirn so glänzend war, dass es schien, als strahle Licht daraus. Dies galt als Zeichen dafür, dass in seiner Nachkommenschaft ein Prophet erscheinen würde. Dies war einer der Gründe, weshalb viele Frauen ihn heiraten wollten und einige von ihnen ihn auch direkt darauf ansprachen. Eine von ihnen war Umm Qitāl bint Nāufil aus dem Banū Asad. Sie soll von ihrem Bruder Warqā ibn Nāufil, einem Gelehrten des Christentums und der alten Schriften, von den Zeichen der Erscheinung eines Propheten in Arabien gehört haben und wünschte sich daher, dass der Prophet aus ihrer Linie geboren werde 32.
Es wird überliefert, dass ʿAbdullāh nach dem Ereignis der Opferung und des Lösegelds mit seinem Vater ʿAbd al-Muṭṭalib auf Reisen war. Auf dem Weg begegneten sie Umm Qitāl 33. Sie sprach ʿAbdullāh
an und bat ihn, sie zu heiraten, wobei sie ihm so viele Kamele anbot, wie für ihn geopfert worden waren. ʿAbdullāh
lehnte den Antrag ab und erklärte, dass er das Mädchen heiraten werde, das von seinem Vater empfohlen werde 34. Dieses Ereignis zeigt ʿAbdullāh
s vollständigen Gehorsam und Respekt gegenüber seinem Vater sowie seine Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen Begierden.
Ein ähnlicher Vorfall wird für Fāṭima bint Murr berichtet, eine der schönsten Frauen Arabiens. Auch sie bot an, ʿAbdullāh zu heiraten, doch er lehnte ab. Dies belegt seine Frömmigkeit, Edelmut, Würde und Keuschheit 35. Es wird erzählt, dass viele junge Frauen aus den Stämmen Banū Maḫzūm, Banū ʿAbd al-Šams und Banū ʿAbd al-Manāf von der Nachricht seiner Heirat so erschüttert waren, dass sie mehrere Tage krank blieben 36.
Nach einem Vorfall im Jemen wollte ʿAbd al-Muṭṭalib für sich und seinen Sohn eine Ehefrau aus dem Stamm der Banū Zuḥra finden. Den Grund für diese Entscheidung berichtet ʿAbbās ibn ʿAbd al-Muṭṭalib : Als ʿAbdullāh
mit seinem Vater im Jemen war, trafen sie auf einen Gelehrten der Ahl al-Kitāb (Leute des Buches), der das Wissen über die Schriften verfügte. Dieser erkannte einige Zeichen in ʿAbd al-Muṭṭalibs äußeren Erscheinungsbild und bestätigte, dass Macht und Herrschaft in einer Hand von ʿAbd al-Muṭṭalib lagen, während die Prophetenschaft in der anderen lag. Er fügte jedoch hinzu, dass beide Eigenschaften in der Banū Zuḥra vereint sein würden. Anschließend fragte er, ob ʿAbd al-Muṭṭalib bereits eine Beziehung zu dem Stamm Banū Zuḥra aufgebaut habe. ʿAbd al-Muṭṭalib verneinte, da er bis zu diesem Zeitpunkt keine Verbindung zu diesem Stamm hatte. ʿAbbās berichtet, dass sein Vater dieses Gespräch und die Prophezeiung im Gedächtnis behielt und beschloss, für sich selbst und für ʿAbdullāh
eine Frau aus dem Stamm Banū Zuḥra zu wählen 37. Dieses Ereignis erwies sich später als Grund für ʿAbdullāh
s Heirat innerhalb des Stammes Banū Zuḥra.
Als ʿAbdullāh vierundzwanzig Jahre alt war 38, wählte sein Vater Āmina bint Wahb
als Braut für seinen Sohn. Sie war die Tochter von Wahb ibn ʿAbd Manāf ibn Zuḥra, dem Oberhaupt der Banū Zuḥra. Er bat somit um Āminas
Hand in der Ehe für ʿAbdullāh
. Sie war die vorzüglichste Frau sowohl in der Abstammung 39 als auch im sozialen Rang 40 und galt zu dieser Zeit als Anführerin der Frauen in ihrem Stamm41. Auf diese Weise war der Prophet Muḥammad
sowohl väterlicherseits als auch mütterlicherseits von edelster Abstammung 42.
Der Heiratsantrag wurde angenommen und ʿAbdullāh heiratete Āmina
, während sein Vater ʿAbd al-Muṭṭalib am selben Tag Āminas Cousine Ḥāla heiratete. Durch diese Ehe ʿAbd al-Muṭṭalibs erhielt der Prophet Muḥammad
einen väterlichen Onkel in seinem Alter, namens Ḥamza. Nach der Stammessitte lebte ʿAbdullāh
während der ersten drei Tage der Ehe bei Āmina
unter ihren Verwandten 43, bevor sie anschließend in die Behausung von ʿAbd al-Muṭṭalib zogen.
Manche Historiker haben eine Reihe von Erzählungen über ʿAbdullāhs Ehen mit anderen Frauen außer Āmina
erwähnt, doch sie sind lediglich Märchen und somit falsch 44. Al-Wāqidī wird von Imam Ṣāliḥī mit der Feststellung zitiert, dass ʿAbdullāh
niemals eine andere Frau neben Āmina
geheiratet hat 45.
ʿAbdullāh begleitete einen Handelskarawane der Qurayš, die nach Gaza in Syrien unterwegs war. Als er aufbrach, war Āmina
bereits schwanger. Er verweilte einige Monate in Gaza und hielt auf dem Rückweg nach Mekka in Yaṯrib (das heutige Medina) bei seinen mütterlichen Onkeln aus dem Stamm Banū ʿĀdī ibn al-Najjār. Während seines Aufenthalts dort erkrankte er und konnte nicht nach Mekka zurückreisen. Als die Karawane Mekka erreichte, wurde ʿAbd al-Muṭṭalib über ʿAbdullāh
s Abwesenheit und Krankheit informiert. Er schickte sofort seinen ältesten Sohn al-Ḥāriṯ nach Yaṯrib, damit dieser ʿAbdullāh
auf dem Rückweg nach Mekka unterstützen konnte. Als al-Ḥāriṯ dort ankam, erfuhr er, dass ʿAbdullāh
verstorben und in Yaṯrib beigesetzt worden war. Daraufhin kehrte er nach Mekka zurück und überbrachte seinem gealterten Vater sowie der verwitweten Āmina
die Nachricht von ʿAbdullāh
s Tod. Diese Nachricht war ein großer Schock für ʿAbd al-Muṭṭalib, ʿAbdullāh
s Geschwister und besonders für ʿAbdullāh
Frau Āmina
4647.
Ibn Saʿd zitiert unter Berufung auf al-Wāqidī, dass die verlässlichste Meinung über sein Alter besagt, dass er bei seinem Tod erst 25 Jahre alt war. Als ʿAbdullāh diese Welt verließ, befand sich der Heilige Prophet
noch im Leib seiner Mutter 48.
ʿAbdullāh hinterließ seiner Familie fünf Kamele, eine Herde Schafe und eine Sklavenpflegerin namens Umm Ayman
als Erbe 49. Gemessen am Ausmaß des hinterlassenen Erbes wird deutlich, dass ʿAbdullāh
nicht sehr wohlhabend, aber auch nicht bedürftig gewesen war. ʿAbdullāh
war erst Mitte Zwanzig gewesen, also noch ein fähiger, junger Mann und in der Lage zu arbeiten und sich ein Vermögen aufzubauen. Darüber hinaus war sein Vater noch am Leben und kein Teil seines Vermögens war bisher auf seine Kinder übergegangen 50.